Wie ist die Lage im Wohnhaus Altona?
SeitenWechsel bietet Perspektivwechsel und Einblicke in Lebenswelten, mit denen unsere Teilnehmer/innen sonst wenig Berührung haben. Diese Einblicke möchten wir auch jetzt, während der Corona-Pandemie, bieten, wenn unsere Arbeit nicht durchführbar ist wie sonst.
Wir haben Yönna Hoge, Teamleitung im Wohnhaus Altona Ende April gefragt, wie es den Kolleginnen und Kollegen, den Klientinnen und Klienten in ihrer Einrichtung geht. Im Wohnhaus Altona bekommen Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und sich wieder einen geordneten Alltag zu erarbeiten.
SeitenWechsel: Wie sieht die Lage bei Ihnen aus?
Yönna Hoge: Die Jugendlichen haben nun die 6. Woche der Corona-Zeit hinter sich. Im Wohnhaus gilt aktuell ein Besuchsverbot, sowie auch das Verbot bei Freunden zu übernachten. Die Jugendlichen leiden unter dem Kontaktverbot, vermissen ihre sozialen Kontakte und die Möglichkeit, mit mehr als nur einer Person unterwegs zu sein, zu shoppen, abends Freunde zu treffen etc. Auch Angehörige, die in Pflegeeinrichtungen leben oder Risikopatienten sind, können nicht besucht werden. Das ist für die Jugendlichen schwer zu verstehen.
Inklusive der Märzferien haben die Jugendlichen nun seit acht Wochen keine Schule mehr. Das bedeutet für sie, dass sie ein hohes Maß an Motivation, Konzentration und Disziplin aufbringen müssen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Die Jugendlichen geben sich Mühe, aber es fällt ihnen auch zeitweise wirklich schwer. Bei einigen stehen demnächst Abschlussprüfungen an, sie haben viele Fragen und einen großen Bedarf an Unterstützung. Sie werden per E-Mail, WhatsApp, Telefon oder Skype mit Unterrichtsmaterialien versorgt. Telefonkonferenzen etc. sind für viele eine Herausforderung und digitales Lernen oft noch sehr ungewohnt.
Für uns Pädagogen ist es eine besondere Zeit; den Alltag mit den Jugendlichen auf relativ engem Raum auf Distanz zu gestalten, ist oft schwierig, manchmal nicht möglich. Die Stimmung im Team ist trotz Allem gut und wir unterstützen uns gegenseitig.
Aktuell sind alle gesund und munter und die Stimmung ist angesichts der Situation erstaunlich gut. Es ist es immer wieder notwendig, die geforderten Maßnahmen geduldig zu erklären, zu motivieren und an die Einhaltung zu erinnern. Die Einschränkungen sind für die Jugendlichen nicht anders als für uns Erwachsene, allerdings ist es für sie schwerer nachzuvollziehen und zu akzeptieren. Für ihr Alter machen die Jugendlichen das richtig gut.
Schule als Struktur fehlt merklich, viele sind nachts lange wach und es fällt ihnen schwer, morgens aufzustehen. Daher werden aktuell alle zur selben Zeit geweckt und bekommen dann Unterstützung durch eine Kollegin, die mit ihnen lernt. Wenn möglich, findet der Unterricht draußen auf der Terrasse statt. Hobbies, Freizeitbeschäftigungen und feste Alltagsterminen, wie beispielsweise Sport, Therapie, Praktika, können die Jugendlichen oft nicht mehr nachkommen.
Im Rahmen der Möglichkeiten bieten wir Ablenkung an und sorgen für ein gemütliches Zuhause, beispielsweise in dem wir Ostern trotzdem gefeiert haben und es tolles Essen sowie einen ganzen Berg an Ostereiern gab. Wir machen gemeinsame Filmabende, spielen Gesellschaftsspiele und Tischtennis und bestellen ab und an mal Pizza. Gemeinsam mit den Jugendlichen versuchen wir Ideen zu sammeln, was man aktuell mit seiner Freizeit anfangen könnte. Wir versuchen den Humor nicht zu verlieren und das Beste aus der Situation zu machen.
SeitenWechsel: Wie können die Menschen Sie als Einrichtung unterstützen?
Yönna Hoge: Im Zusammenhang mit der derzeitigen Situation fällt uns auf, dass unsere technische Ausstattung für digitalen Unterricht und Lernen von Zuhause nicht ausreicht. Skype-Gruppentelefonate etc. müssen aktuell über unseren Bürolaptop stattfinden. Oft sind die Termine zeitgleich und kollidieren miteinander. Die Jugendlichen bearbeiten ihre Hausaufgaben oft übers Handy, weil der stationäre Rechner belegt ist, oder sie nicht im Gruppenraum arbeiten wollen.
Für die Zeit nach Corona würden wir den Jugendlichen gerne eine tolle Gruppenreise bieten, für die uns allerdings immer nur ein sehr begrenztes Budget zur Verfügung steht. Gerne würden wir im Sommer Ausflüge ermöglichen, beispielsweise einen Wassersporttag an der Ostsee oder einen Besuch im Hansapark. Falls reisen im Sommer weiterhin nicht möglich ist, würden wir gerne kleinere Ausflüge ermöglichen, beispielsweise Kanu fahren oder Kinobesuche.
Ich persönlich wünsche mir, dass die Menschen gelassener miteinander umgehen und mehr Verständnis füreinander aufbringen. Jeder geht beispielsweise anders mit Ängsten um und alle haben unterschiedlich starke soziale Netze, die sie tragen oder eben bedauerlicherweise auch nicht. Das Risiko, dass einzelne durch die Maschen fallen, ist hoch. Hier nehme ich die Menschen in Hamburg aktuell als sehr solidarisch und sehr aktiv wahr und habe das Gefühl, dass viele bereit sind, andere zu unterstützen.
Europaweit würde ich mir wünschen, dass viele, die ohnehin schon benachteiligt sind, besser aufgefangen werden. Jedes Leben zählt und es darf nicht passieren, dass Menschen aus dem Blick geraten und auf der Strecke bleiben.
Für die sozialen Medien würde ich mir wünschen, dass der Umgang miteinander ein anderer ist und nicht so viel Raum für Hetze bietet. Das ist aber unabhängig von Corona ein großes Thema.
Insgesamt zeigt diese besondere Zeit vieles auf, was gut funktioniert, aber auch vieles, das optimiert werden könnte und hoffentlich wird. Sei es für die Menschen, die in den sogenannten „systemrelevanten“ Berufen arbeiten, aber auch für die vielen anderen, die aktuell Sorge um ihre Existenz haben müssen.
Ich wünsche mir, dass die Empathie und der Zusammenhalt (wenn auch auf Distanz) untereinander etwas anhält.
SeitenWechsel: Welche guten Seiten hat die Situation im Moment? Was könnte positives daraus entstehen?
Yönna Hoge: Wir nehmen die Stimmung im Haus als positiv wahr, die allgemeine Entschleunigung des Alltags bringt Zeit für Gespräche, Tischtennis spielen, Spieleabende, gemeinsame Mahlzeiten mit sich. Vielen Jugendlichen scheint die Entschleunigung gut zu tun. Die Jugendlichen lernen sich gegenseitig besser kennen, es entstehen neue Freundschaften. Viele gemeinsame Aktivitäten finden im und um das Haus herum statt. Die Jugendlichen sind außerdem viel an der frischen Luft unterwegs, gehen spazieren, Fahrrad fahren oder ab und an auch mal joggen.
Für die Gruppe kann die Situation insofern positiv sein, als dass sich ein neuer Zusammenhalt entwickelt. Viele von uns, die schon einmal in einer Wohngemeinschaft gelebt haben, wissen, wie anstrengend der WG-Alltag sein kann. In einer Wohngruppe kommt hinzu, dass sich die Jugendlichen ihre Mitbewohner nicht aussuchen können, sondern dass man sich miteinander arrangieren muss. Die Jugendlichen wachsen aktuell als Gruppe zusammen und schaffen es auch in einem altersgemäßen Rahmen, aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Insgesamt sind wir beeindruckt, wie gut die Jugendlichen die Situation meistern. Wir haben eine tolle Gruppe, die sich gut gegenseitig unterstützt und der selten der Humor ausgeht. Unsere geplante Sommerreise haben wir noch nicht storniert und hoffen noch, dass wir im Sommer an die Ostsee fahren können. Den Jugendlichen würde ein Tapetenwechsel sicherlich sehr gut tun.