Digitale Teilhabe für wohnungslose Menschen
Ein Interview mit Axel Mangat, Leiter der Bahnhofsmission Hamburg und Thorsten Logemann, Vorstand von Intersoft Consulting.
Axel Mangat und Thorsten Logemann haben sich vor etwa 5 Jahren durch das Format "SeitenWechsel im Gespräch" kennengelernt. Beide sind SeitenWechsel schon lange eng verbunden und engagieren sich ehrenamtlich im Beirat. Vor etwa einem halben Jahr starteten sie ein gemeinsames Projekt für die digitale Teilhabe wohnungsloser Menschen.
Die Bahnhofsmission beschäftigt sich seit langem mit der Frage, wie digitale Teilhabe für wohnungslose Menschen realisiert werden kann. Viele dieser Menschen haben keinen Zugang zu grundlegenden digitalen Ressourcen wie Internetverbindungen oder sicheren Speichermöglichkeiten. Dabei sind solche Angebote zunehmend unverzichtbar, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Private Fotos, aber auch wichtige Dokumente wie Antragsformulare, medizinische Berichte oder amtliche Bescheide können oft nicht aufbewahrt oder genutzt werden, da geeignete technische Mittel fehlen. Besonders in Zeiten zunehmender Digitalisierung zeigt sich, wie dringend einfache und sichere Lösungen benötigt werden. Axel Mangat erklärt: "Menschen, die sowieso schon aus vielen Bereichen der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind, werden auch bei der digitalen Teilhabe oft nicht mitgedacht. […] Dann kam die Corona-Krise, also da konnte man sehr leicht sagen, ja, ohne Zoom-Links wären wir alle ziemlich aufgeschmissen gewesen. Und das war so der Anfang."
Gemeinsam entwickeln die Bahnhofsmission Hamburg und Intersoft Consulting einen digitalen Arbeitsplatz, an dem wohnungslose Menschen ihre wichtigen Daten sicher speichern, Dokumente scannen und einfach auf Informationen zugreifen können. Ein Prototyp dafür soll bereits in diesem Jahr in der Bahnhofsmission installiert werden. "Unsere Vision ist eine Art digitale Schublade, in der Menschen alles ablegen können, was sie im Alltag brauchen: Ausweise, Anträge, medizinische Unterlagen oder auch persönliche Botschaften.", beschreibt Thorsten Logemann. Die Hardware soll dabei aus einem Industriebildschirm sowie einer Industrietastatur bestehen, die auch "etwas rabiatere Bedienung aushalten können", so Logemann.
Die technische Umsetzung sowie das Gewinnen von Vertrauen der wohnungslosen Menschen, dass sie hier sicher ihre persönlichen Daten eingeben und wieder abrufen können, wobei gleichzeitig gesichert ist, dass diese von niemand anderem gesehen werden können, sind dabei herausfordernder als von Thorsten Logemann zu Beginn erwartet: "Das liegt vor allen Dingen daran, wenn wir uns an unserem Rechner anmelden, haben wir ein Benutzernamen und ein Kennwort. Von Axel haben wir schnell gelernt, dass wir das vergessen können. Viele betroffene Menschen würden beim Verlassen der Bahnhofsmission das Passwort schon vergessen haben. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass derjenige, der Daten in so eine digitale Schublade legt, auch nur der ist, der wieder Zugang dazu erhält. [...] Wir waren dann relativ schnell bei Fingerabdruck-Scannern. Auch hier hat uns die Bahnhofsmission gesagt, das ist gut zu überlegen. Die Hände sind nicht so sauber wie die von uns. Viele Menschen sind hRaucher und können nur selten duschen. Wenn da eine gewisse Kruste oder eine Verdreckung drüber ist, dann kann kein Fingerabdruckscanner den Finger erkennen." Um die technischen Hürden zu umgehen, überlegt Intersoft Consulting nun, Geometrie- oder Iris-Scanner einzusetzen. Doch auch hier bleibt die Unsicherheit, ob die Kund*innen der Bahnhofsmission ihnen vertrauen: "Bei Menschen, die schlechte Erfahrung mit staatlichen Organisationen haben […] ist die Zugangshürde schon zu hoch, sie denken vielleicht: ‘hier steht zwar Bahnhofsmission drauf aber eigentlich wollen die doch nur mich ausspionieren, oder mich loswerden oder in irgendwelche staatlichen Systeme zwängen.‘ […] Wenn jemand sich dann so davorsetzt und sein Auge aufmachen muss, glaube ich, dass die Angst zu groß ist, und das ist etwas, was wir auch unterschätzt haben, dass wir bei dieser besonderen Klientel eben auch technisch etwas schaffen müssen, was Vertrauen schafft.", so Thorsten Logemann.
Gleichzeitig müssen sich Intersoft und die Bahnhofsmission bei ihrem Projekt absichern, dass niemand die digitale Schublade missbraucht und verbotene Daten abspeichert, oder durch ein nicht upgedatetes Smartphone Viren auf den Computer zieht.
Axel Mangat ist Intersoft Consulting sehr dankbar für ihr Pro-Bono Projekt und findet es "total großartig, dass wir es fortführen und dass wir da Schritt für Schritt vorangehen, auch wenn es langsamer ist als gedacht." Für ihn stellt dies keinen Kritikpunkt dar, "sondern es zeigt sich, dass in der Praxis das eben genau die Herausforderung ist und macht auch deutlich, warum es für diese Zielgruppe eben schwer ist, auch in normale, vielleicht gesellschaftliche Lösungen einfach eingebaut zu werden. […] Es hat eben auch mit den besonderen Rahmenbedingungen zu tun".
Wir freuen uns sehr, dass dieses Projekt für wohnungslose Menschen entstanden ist und sind gespannt, wie es weitergeht!