Wie ist die Lage bei ZusammenLeben e.V.?
SeitenWechsel bietet Perspektivwechsel und Einblicke in Lebenswelten, mit denen unsere Teilnehmer/innen sonst wenig Berührung haben. Diese Einblicke möchten wir auch jetzt, während der Corona-Pandemie, bieten, wenn unsere Arbeit nicht durchführbar ist wie sonst.
Wir haben Ulrike Benkart, Leiterin der Ambulanten Dienste bei ZusammenLeben e.V. in Hamburg-Bergstedt zu Beginn der Maßnahmen zur Eindämmerung der Verbreitung des Corona-Virus gefragt, wie es den Kolleginnen und Kollegen, den Klientinnen und Klienten in ihrer Einrichtung geht. ZusammenLeben bietet erwachsenen Menschen mit Assistenzbedarf vielseitige Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten.
SeitenWechsel: Wie sieht die Lage bei Ihnen aus?
Ulrike Benkart: Natürlich besteht eine hohe Verunsicherung, jedoch stellen sich viele Bewohner/innen auf die Veränderungen ein. Seit Dienstag, 17. März 2020 sind die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und Tagesförderstätten geschlossen. Damit halten sich unsere Bewohner/innen 24 Stunden an ihrem Wohnort auf. Der täglich kleiner werdende Aktionsradius wird irgendwie hingenommen. Wir sind dabei, kreative Ideen zur Gestaltung der Freizeit in den Wohnhäusern sowie andere Programme einzuführen. Zum Beispiel wurde unsere Physiotherapeutin beauftragt, ein Video zu erstellen mit einem 20-minütigen Bewegungsprogramm. Youtube ist zu anonym, hier braucht es ein bekanntes Gesicht und bekannte, leistbare Übungen. Heute haben wir beschlossen, die hamburgweiten Besuchsregelung für Wohngemeinschaften der Eingliederungshilfe zu verschärfen und keine Besuche mehr zuzulassen. Dies ist erforderlich, da in den Häusern Menschen leben, die einem erhöhten gesundheitlichen Risiko ausgesetzt sind – eine weitere Einschränkung. Das ist nicht einfach. Im Stadtteil (Bergstedt und Volksdorf) sind wir natürlich gut versorgt. Außerdem haben wir das Glück, dass alle Häuser Gärten haben und wir von unserem Förderverein großzügig und unbürokratisch unterstützt werden.
SeitenWechsel: Wie können die Menschen Sie als Einrichtung unterstützen?
Ulrike Benkart: Was die Initiative einzelner Menschen betrifft, fühlen wir uns gut unterstützt. Gesamtgesellschaftlich jedoch haben wir große Sorgen. Die Einkommen der Fachkräfte, die in der Behindertenhilfe tätig sind, sind viel zu niedrig. Ein/e Vollzeitmitarbeiter/in kann davon nicht in Ansätzen eine Familie ernähren. Dies führt auch dazu, dass das Berufsfeld der/des Heilerziehungspfleger/in als unattraktiv erachtet wird, was wiederum ein Teil der Ursache des bereits heute vorhandenen Fachkräftemangels ist. Angesichts der Alterspyramide wird sich dieser Mangel in den nächsten Jahren und Jahrzehnten extrem verschärfen. Es gibt Ausbildungsoffensiven und Imagekampagnen für soziale und pflegerische Berufe. Die Behindertenhilfe wird hierbei jedoch vergessen oder nur am Rande erwähnt.
SeitenWechsel: Welche guten Seiten hat die Situation im Moment? Oder was könnte positives daraus entstehen?
Ulrike Benkart: Gesamtgesellschaftlich fällt mir da vieles ein: Ein Besinnen auf mehr wahrhafte Begegnung (auch wenn wir derzeit fast ausschließlich digital in Kontakt sind), ein Besinnen auf den Schutz der Erde und der Menschen, auf weniger Egoismus und für echte Solidarität, ein Besinnen auf eine gesunde, gemeinwohlökonomisch orientierte Wirtschaft, auf mehr Interesse am Mitmenschen und damit eine wirklich inklusive Gesellschaft, nicht nur im Kopf, auch im Herzen und im Handeln.