Wie ist die Lage in der Sozialtherapie der JVA Lübeck?
SeitenWechsel bietet Perspektivwechsel und Einblicke in Lebenswelten, mit denen unsere Teilnehmer/innen sonst wenig Berührung haben. Diese Einblicke möchten wir auch jetzt, während der Corona-Pandemie, bieten, wenn unsere Arbeit nicht durchführbar ist wie sonst.
Wir haben Dr. Hilde van den Boogaart, Leiterin der Sozialtherapeutischen Einrichtung der JVA Lübeck gefragt, wie es den Kolleginnen und Kollegen, den Klientinnen und Klienten in ihrer Einrichtung geht. Die Sozialtherapie soll Gefangenen helfen, in Zukunft ein sozial verantwortliches Leben ohne Straftaten zu führen. Dies geschieht durch besondere therapeutische Maßnahmen, praktische Hilfen zur Lebensbewältigung und eine schrittweise Heranführung an das Leben außerhalb der Anstalt.
SeitenWechsel: Wie sieht die Lage bei Ihnen aus?
Dr. Hilde van den Boogaart: Da wir die Einschränkung der Sozialkontakte als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen halten, ist auch das Leben in der JVA und damit auch in der Sozialtherapie grundlegend geändert worden. Die Wohngruppen sind zwar in sich weiter offen, Kontakt zwischen den Wohngruppen gibt es aber nicht mehr. Damit entfallen alle wohngruppenübergreifende Therapie- und Freizeitmaßnahmen. Innerhalb der Wohngruppen finden aber Einzel- und zum Teil auch Gruppentherapien statt. Wer sozialtherapeutisches Arbeiten kennt, weiß, wie wichtig Interaktion für das tägliche Lernen und Üben von neuen Einstellungen und Verhaltensweisen ist. Diese Interaktion ist zurzeit erheblich eingeschränkt, aus therapeutischer Sicht verarmt. Dies wird noch verstärkt durch eine strikte Trennung des Personals in zwei Schichten, die nur schriftlichen und telefonischen Kontakt haben.
Um die Kontakte zu minimieren sind alle Besuche eingestellt. Es wurden deshalb mehr Skype-Plätze in der Anstalt eingerichtet und alle Gefangenen des Landes erhielten einen Zuschuss für Telefonkosten. Die Möglichkeit, Bücher in der Anstaltsbücherei auszuleihen, besteht weiterhin, Sport wird regelmäßig angeboten. Die Arbeit in den Betrieben, in denen ja Gefangene aller Häuser arbeiten, wurde eingestellt. Die Gefangenen erhalten dennoch einen reduzierten Lohn, um sich weiter mit ihnen wichtigen Dingen versorgen zu können und nicht darauf angewiesen zu sein, sich bei anderen Gefangenen etwas zu leihen. Diejenigen, die noch in den Versorgungsbetrieben arbeiten (z. B. Küche), erhalten dafür einen Aufschlag auf ihren Lohn.
Ansonsten nutzen die Gefangenen die Zeit, wie jeder andere von uns auch: Sie räumen auf, arbeiten Dinge auf, verbringen Zeit mit den anderen Gefangenen ihrer Wohngruppe mit Gesellschaftsspielen oder draußen im Garten der Einrichtung, wenn ihre Wohngruppe Gartenzeit hat, sie sehen fern und pflegen ihre Freizeitinteressen. Es werden auch Gesichtsmasken genäht, um vorbereitet zu sein, wenn diese Vorschrift werden. Trotz der einschneidenden Veränderungen ist die Stimmung gut. Durch Transparenz und gute Information durch die Anstalt wussten alle, was auf sie zukommt und aus welchem Grund. Darüber hinaus sehen auch Gefangene Nachrichten und lesen Zeitung. Sie wissen genau, was aktuell auch außerhalb des Gefängnisses los ist und finden sich selbst in einer relativ geschützten und gut versorgten Situation. Das gilt zurzeit nicht für alle Menschen, so hat es jedenfalls einer neulich formuliert.
SeitenWechsel: Wie können die Menschen Sie als Einrichtung unterstützen?
Dr. Hilde van den Boogaart: Eine Unterstützung von außerhalb der Einrichtung ist schwierig und aktuell auch nicht nötig. Da haben es andere zurzeit viel schwerer und brauchen Hilfe.
SeitenWechsel: Welche guten Seiten hat die Situation im Moment? Was könnte positives daraus entstehen?
Dr. Hilde van den Boogaart: Für mich kann ich sagen, dass ich persönlich enorm von der erzwungenen Entschleunigung profitiere. Innere Ruhe macht mich produktiver, effizienter und sicherer in meinen Entscheidungen. Ich überlege noch, was dies für meinen persönlichen und beruflichen Alltag nach Corona bedeuten soll. Vielleicht machen auch andere diese Erfahrung und wir können gemeinsam Konstruktives für die Zeit nach der Krise daraus gewinnen.