Wie ist die Lage im Nachbarschaftsheim Schöneberg?
SeitenWechsel bietet Perspektivwechsel und Einblicke in Lebenswelten, mit denen unsere Teilnehmer/innen sonst wenig Berührung haben. Diese Einblicke möchten wir auch jetzt, während der Corona-Pandemie, bieten, wenn unsere Arbeit nicht durchführbar ist wie sonst.
Wir haben Franziska Lichtenstein, Geschäftsführerin bei der Nachbarschaftsheim Schöneberg Pflegerische Dienste gGmbH gefragt, wie es den Kolleginnen und Kollegen, den Klientinnen und Klienten in ihrer Einrichtung geht.
SeitenWechsel: Wie sieht die Lage bei Ihnen aus?
Franziska Lichtenstein: Die Pflegerischen Dienste des Nachbarschaftsheimes bieten professionelle Pflege und Betreuung von Vor-der-Geburt bis zum Tod, ergänzt durch die Unterstützung Ehrenamtlicher. Neben der häuslichen Pflege in zwei ambulanten Pflegediensten inklusive ambulant betreuter Wohngemeinschaften für pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Demenz und palliativer Versorgung gehören die Tagespflege für Senioren, die Familienpflege, ehrenamtliche Besuchsdienste sowie der ambulante Hospizdienst und das stationäre Hospiz zu unseren Angeboten. Durch die Corona-Pandemie mussten wir einige Angebote, wie die Tagespflege, schließen, andere Angebote einschränken. Unsere Mitarbeitenden in der Pflege erbringen weiterhin alle erforderlichen Leistungen, auf die die älteren, pflegebedürftigen, schwerstkranken und sterbenden Menschen angewiesen sind. Unterstützung erhalten sie dabei auch von Mitarbeitenden aus anderen Einrichtungen und Arbeitsbereichen unseres Trägers. Dafür sind wir sehr dankbar! Wir versuchen alles, um unsere Kund/innen vor einer Infektion zu schützen. Gleichzeitig machen wir uns große Sorgen, dass auch unsere Mitarbeitenden an Corona erkranken könnten und die Pflege und Betreuung dadurch gefährdet sein könnte. Wir sind schockiert und bestürzt darüber, dass nicht ausreichend Schutzmaterial für unsere Mitarbeitenden auf dem Markt verfügbar ist bzw. bereitgestellt wird.
Daneben bedrücken uns auch finanzielle Sorgen, da Einrichtungen wie die Tagespflege geschlossen und nicht dringend notwendige Leistungen in der häuslichen Pflege reduziert werden mussten. Preise für die nötige Schutzausrüstung haben sich mehr als versiebenfacht und so ist nicht absehbar, wie wir finanziell durch die Krise kommen werden. Denn bereits vor der Corona-Krise waren wir schon in großer finanzieller Bedrängnis, bedingt durch den massiven Pflegekräftemangel und die nicht ausreichende Refinanzierung durch die Kostenträger.
Wir improvisieren nicht nur beim Schutzmaterial sondern auch bei unseren Angeboten. So versuchen die ehrenamtlichen Mitarbeitenden von unseren Besuchsdiensten, die ihre Besuche einschränken mussten, mit den älteren Menschen telefonisch im Kontakt zu bleiben oder auch das Team unserer Tagespflege versucht, die Tagespflegegäste zu Hause telefonisch zu erreichen. Bei an Demenz erkrankten Menschen ist das allerdings häufig schwierig. Insbesondere die Situation der älteren, allein lebenden Menschen bedrückt uns.
SeitenWechsel: Wie können die Menschen Sie als Einrichtung unterstützen?
Franziska Lichtenstein: Wir freuen uns über Unterstützung, zum Beispiel bei unserer Mundschutz-Nähaktion (siehe www.nbhs.de) sowie über Spenden von dringend benötigtem Schutzmaterial und auch Geldspenden. Darüber hinaus wünschen wir uns, dass die Menschen trotz der Sorgen und Ängste besonnen bleiben, dass sie innerhalb ihrer Nachbarschaft füreinander da sind und sich unterstützen, zum Beispiel beim Einkauf, durch Telefonate oder kleine Botschaften unter der Tür – natürlich unter Wahrung der Abstands- und Hygieneregeln.
SeitenWechsel: Welche guten Seiten hat die Situation im Moment? Was könnte positives daraus entstehen?
Franziska Lichtenstein: Die entstehende Solidarität und Gemeinschaft sind eine gute Seite, die wir zurzeit erleben. Positiv und ein langfristiges Muss wäre, dass die „systemrelevanten“ Berufsgruppen nach der Krise nicht wieder in Vergessenheit geraten. Insbesondere wir als Träger sozialer und pflegerischer Dienstleistungen wünschen uns, dass die Bedeutung der pflegerischen, sozialen und medizinischen Berufsgruppen endlich die angemessene Würdigung und Wertschätzung findet. Das bedeutet, dass so wesentliche Branchen wie die Pflege und soziale und medizinische Versorgung nicht mehr nur unter wirtschaftlichen Aspekten gesehen würden. Stattdessen sollten die notwendigen Investitionen erfolgen, um mit ausreichend gut bezahltem Personal menschenwürdige Pflege und Betreuung leisten zu können. Bereits vor der Corona-Pandemie verteilte sich die Arbeit auf wenige Pflegekräfte, die nicht angemessen vergütet, unter Zeitdruck, zu allen Tages- und Nachtzeiten viele Menschen betreuen und versorgen mussten – ohne ausreichend Zeit für Gespräche und Zuwendung.
Der Wunsch der meisten Menschen ist es, auch im hohen Alter und bei Pflegebedürftigkeit zu Hause bleiben zu können und dort, nicht einsam, zu sterben. Deshalb muss der Blick verstärkt auch auf die häusliche Pflege gerichtet werden, die den wesentlichen Beitrag dafür leistet, aber meist im Schatten der Krankenhäuser und stationären Pflege steht.